Gartenreichbrief -
Neues von der Kulturstiftung

Der Rhythmus der Jahreszeiten und der Kreislauf der Natur beeinflussen das menschliche Leben und die Wahrnehmungen der Welt von jeher. Demnach überrascht es nicht, dass jahreszeitliche Zyklen, klimatische Einflüsse und die Wiederkehr von Wetterphänomen früh zu Motiven der Kunst, Kultur und Literatur avancierten.

Schon im Alten Ägypten und dann in der Antike entwickelt sich eine feste Ikonographie jahreszeitlicher Motive und Allegorien. Bei Ovid kommen die Jahreszeiten als anthropomorphe Wesen daher. Bei Lukrez verfestigen sich Attribute von Flora, Ceres, Bacchus und anderer mit dem jahreszeitlichen Wandel assoziierten Gottheiten. Darstellungen von Jahreszeiten bleiben bis weit ins 18. Jahrhundert hinein präsent als Skulpturen in Gartenanlagen, auf Gemälden, Druckgraphiken, im Kunstgewerbe, in der Musik oder in literarischen Texten.

Zu den meist gelesenen Büchern des 18. Jahrhunderts – auch im Fürstentum Anhalt-Dessau – zählen James Thomsons „Seasons“. Antonio Vivaldis und Joseph Haydns „Jahreszeiten“ sind musikalische Begleiter der Epoche des Fürsten Franz. Die Schlösser und Gärten des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches sind gleichsam von bildkünstlerischen Reminiszenzen an die Jahreszeiten durchdrungen. So ist etwa an den beiden Portalaufsätzen des Schlosses Mosigkau neben Allegorien des Frühlings, Sommers und Herbsts auch der Winter vertreten.

Ist es vielleicht sogar ein Schlitten, auf dem die weibliche Figur mit Blick auf den Ehrenhof Platz genommen hat? Schlitten fuhr man im 18. Jahrhundert gern. In den Tagebüchern der Fürstin Louise finden sich wiederholt Hinweise darauf. Einmal nahm der Schlitten des Fürstenpaares so schnell an Fahrt auf, dass man kurz vor Wörlitz beinahe den Wall herabgestürzt wäre. Winterliche Natur und bukolische Gefühlswelt scheinen dabei in keinem Widerspruch zu stehen. Der Dichter Karl Wilhelm Ramler lässt in seinem Gedicht "Sehnsucht nach dem Winter" eine Nymphe, eingepackt in einen dicken Pelz „beherzt auf gleitenden Wagen“ dahinsausen.

Einen Pelz wünscht man freilich auch dem jungen Mädchen, das heute noch in der Luisenklippe frieren muss. Dabei handelt es sich um einen modernen Abguss – ursprünglich war die Statue aus Pappmaché – der berühmten 1785 geschaffenen Skulptur „L’Hivre“ (Der Winter) von Jean-Antoine Houdon. Houdons Verkörperung des Winters als sichtlich frierendem, halb entblößtem Mädchen, das ihren Körper eng mit den Armen umschlingt und ein Tuch tief in die gebeugte Stirn gezogen hat, bricht radikal mit ikonographischen Traditionen und spielt zugleich mit ihnen. Bezüge zur Venus- und Marien-Ikonographie lassen sich ebenso erkennen wie Anspielungen auf antike verschleierte Vestalinnen. Besuchen kann man die „Frierende“ nur im Rahmen von Sonderführungen. Die Luisenklippe hat allerdings immer – und vor allem im Winter – ihre Reize und darf bei einem verschneiten Spaziergang oder einer Schlittenfahrt durch das Dessau-Wörlitzer Gartenreich ebenso wenig fehlen wie das Schloss und der Garten von Mosigkau. 

PD Dr. Jana Kittelmann
Referat Kunstforschung und Sammlungen

Titelbild: Schneespaziergang im Wörlitzer Park © KsDW, Lars Reimann